Wer sind wir?

09.12.2022
Bild/Artist: Choice BISON
Bild/Artist: Choice BISON


Wer sind wir wirklich, hinter den dicken Mauern aus vorgedachten Meinungen und Glaubenssätzen?

Ist es tatsächlich so, dass wir irgendwann einmal einen eigenen Gedanken hegten, oder ist all das, was wir Realität nennen, erst in uns eingesenkt worden?

Es wurde uns gesagt, wie ein Mann zu sein hat, was eine richtige Frau ausmacht, wie Kinder sich zu verhalten haben, was eine gute Erziehung ist, welche Partner man sich aussuchen sollte, wie Sexualität auszuleben ist und wie man ein erfolgreiches und glückliches Leben führt, wobei man auch gleich noch nachgereicht bekam, was mit Erfolg und Glück gemeint ist.

Wir wurden darüber informiert, dass der Mensch über dem Tier steht und es wenig gewinnbringend ist, über Unwichtiges nachzudenken, während uns die Gesellschaft vorlebte, was wichtig und unwichtig ist - vor allem aber: Was gewinnbringend ist!

Irgendwo hinter dieser vorgefertigten Fassade, sitzt unser vernachlässigtes inneres Kind, das seine ehrlichen Empfindungen von Liebe und Mitgefühl nicht leben durfte und nun stets bestrebt ist, dem sozialen Druck und der Lieblosigkeit in unsere Gesellschaft standzuhalten. Das ist anstrengend und erfordert immense Energie bis hin zur schieren Erschöpfung.

Und dann tritt unverhofft ein Tierrechtsaktivist ins Leben und erzählt, dass wir einer Täuschung aufgesessen seien. Dass wir nicht über den Tieren stünden und es absolut keine Verhandlungssache sei, ob wir weiterhin unnötigerweise fühlende Wesen versklaven, ausbeuten und töten sollten.


Das ganze Weltbild scheint jetzt ins Wanken zu geraten - die Fassade bekommt erste Risse, denn mindestens das Thema mit den Nutz-Tieren ist doch indiskutabel! Oder könnte es dennoch sein, dass dieser Mensch, der sich für die Tierrechte einsetzt, richtig liegt?
Das innere Kind schreit «JA!» - der indoktrinierte Verstand überhört und wehrt sich vehement dagegen.
Mit klammen Fingern versucht dieser sich an den Fäden der antrainierten Glaubenssätze festzuhalten, verstrickt sich immer mehr in Widersprüchen und ringt zwischen «das stimmt nicht» und «Ja, aber» hin und her.

Am Ende bleibt nur noch die Flucht in die Aggression, denn die Einsicht, man sei einer Lebenslüge auf den Leim gekrochen, man habe es versäumt, das scheinbar Unwichtige als wichtig zu erkennen, mobilisiert die Angst etwas verändern zu müssen, während man um seinen Gesichtsverlust bangt.

Das finstere Spiegelbild des Menschseins, will man nicht vorgehalten bekommen, denn es deckt schonungslos das auf, was für immer in der Dunkelheit der Ignoranz hätte bleiben sollen.

Die Frage stellt sich: Sind wir empathielose «Kleingeister», die sich ein Fehlverhalten nicht einzugestehen vermögen, oder habe wir die seelische Reife und Grösse, zu reflektieren, dass wir falsch lagen, dass wir da wohl etwas übersehen hatten und nie darüber nachdachten?

Wer sind wir - wer sind wir wirklich?


Text by: Bea Kälin