"Timi und Oskar"
Eine Kurzgeschichte nach einer wahren Begebenheit.
Timi war
ein kleiner aufgeweckter und fröhlicher Junge. Er liebte Tiere über alles und
war mächtig stolz darauf, einen Hasen namens «Oskar» zu haben.
Das Tierchen war
sein Ein und Alles und immer nach der Schule eilte er so schnell er konnte nach Hause
zu seinem geliebten Oskar. Er verbrachte Stunden damit, dem süssen Kerl beim
Mümmeln einer Karotte zuzuschauen, sein weiches Fell zu liebkosen oder zu beobachten, wie er lustig über das
Gras im Gehege hoppelte. Manchmal schien die Sonne durch die langen Ohren des
Kaninchens und sie schimmerten leuchtend rot. Timi musste dann immer von Herzen lachen und
er wünschte sich, er hätte auch so lange leuchtende Ohren.
Oskar kannte alle Geheimnisse und Sorgen von Timi. Geduldig hörte er ihm zu und
versicherte dem kleinen Mann, nur schon durch seine Anwesenheit, dass alles gut
werden würde...
Eines
Tages, als Timi von der Schule Heim kam, sah er von weitem seinen Vater, wie er
etwas hochhob. Er konnte es zuerst aus der Ferne nicht richtig erkennen. Aber
mit jedem Schritt, den er näher zum Haus machte, realisierte er, dass das Oskar
war. «Oskar...!?», schoss es Timi durch den Kopf und sein Herz begann zu pochen
bis zum Hals.
Er sah, wie sein Vater das zappelnde Tier an den Ohren packte und einen
Gegenstand an dessen Kopf hielt. Plötzlich hörte Timi einen Schuss. «Nein, nein!»
schrie er und begann loszurennen. «Nein!!...Nein!!» Seine Stimme begann sich
vor Entsetzen zu überschlagen.
Das konnte doch nicht wahr sein! Völlig ausser
Atem erreichte er den Schuppen, der neben dem Haus stand.
Timi wurde Zeuge, wie sein Vater
seinen geliebten Oskar an die Holzwand nagelte und das Fell über die Ohren des
leblosen Tierchens zog.
Timi stand in Schockstarre mit offenem Mund da, sein Herz raste, er hörte nur noch sein Blut
rauschen. Er war unfähig etwas zu sagen. Erstarrt in seiner Ohnmacht und bodenlosen
Fassungslosigkeit zitterte er am ganzen Leib und stammelte: «Aber, aber...das...ist
doch...Oskar...mein Oskar...».
Ohne seinen Sohn anzuschauen, murrte der Vater: «Ach, das war doch nur ein
Hase. Sei doch nicht so hysterisch!»
Timi flüsterte: «...das ist doch so schade Papa...das ist doch so schade...Oskar war...» mehr brachte
er nicht mehr raus, drehte sich um und rannte los. Sein Vater rief hinter ihm
her: «Jetzt hab dich doch nicht so! Das war nur ein Tier! Sei doch kein
Weichling! Aus dir wird ja nie ein richtiger Mann!»
Timi rannte
und rannte, egal wohin, einfach nur weg! Als er nicht mehr konnte setzte er
sich keuchend am Waldrand nieder und schluchzte ohne Ende.
Noch nie hatte er
solch einen Schmerz gefühlt, noch nie hat ihm jemand so weh getan.
Sein Oskar!
Sein geliebter Freund! Umgebracht vom eigenen Vater, den er immer so bewundert
hatte.
«Oskar... Oskar, wo bist du?» fragte Timi in die Leere seiner Trauer. Immer
wieder überkamen ihn Weinkrämpfe. «Nie mehr darf ich mit dir zusammen sein,
Oskar...jetzt bin ich ganz alleine» flüsterte der Junge bebend.
«Was hast du getan, Papa?!» schluchzte der kleine Junge. Timi wurde es ganz
schwindelig und übel.
Er wollte seinen Vater hassen, innerlich schrie er ihn an: «Ich will gar nie
ein Mann werden! Ich will Oskar...meinen Freund...». Das Vertrauen in seinen
Vater - und überhaupt in alle - hatte er verloren.
Vollkommen
erschöpft schleppte sich der Junge beim Eindunkeln nach Hause, ging hoch auf sein
Zimmer und warf sich aufs Bett. Von unten hörte er die Stimme seines Vaters rufen:
«Timi! Abendessen! Es gibt Hasenbraten!»
Das Kind zog die Decke über seinen Kopf und weinte sich in den Schlaf.
Am nächsten
Morgen konnte der keine Junge nicht aufstehen. Er fühlte sich wie unter einer Glasglocke
und hohes Fieber plagten ihn, begleitet von einer starken Lungenentzündung.
Es dauerte Wochen, bis Timi wieder zu Kräften kam und gesund wurde; sein
verletztes Herz jedoch, wird nie wieder heilen...
Die Jahre
vergingen und aus Timi wurde Tim, ein Mann...
Er hat dieses fürchterliche Erlebnis verdrängt, denn diese Wunde darf niemals
aufbrechen, sonst würde er seelisch verbluten.
Text by: Bea Kälin