Sie sagen...

Sie sagen, du seist nur ein Tier, aber ich sehe so viel Menschliches in deinen Augen, in deinem Ausdruck, wie du die Welt wahrnimmst.

Sie sagen, du seist nutzlos, wenn du keinen Nutzen bringst, und ich frage mich, welchen Nutzen denn ich bringe?

Ich streiche über dein Fell, geliebtes Tier, und spüre das wärmende Leben, wie es durch deine Adern fliesst. Mein Herz schlägt im Gleichklang mit dem deinigen und ich schliesse meine Augen -.

Du erzählst mir deine Geschichte, davon, wie es schmerzt, nicht das leben zu dürfen, wozu du bestimmt bist. Davon, wie es ist, eingesperrt und sekündlich der brutalen Willkür eines Menschen ausgesetzt zu sein. Du sprichst leise, und doch so klar vernehmbar in meiner Seele.

Ich spüre deinen Atem dicht an meiner Wange, er ist ruhig, tief und schwer, fast schon durchdrungen von einem stetigen Wimmern. Diese Nähe zu dir lässt mich verstehen, dass wir nie getrennt waren, dass wir eins sind, dass uns mehr verbindet als uns trennt.

Sie sagen, du seist dumm, ich aber erkenne deine Klugheit, deine Weisheit im Hier und Jetzt einfach zu sein in all deiner Bescheidenheit.

Sie sagen, du hättest nur Instinkte. Aber ich sah, wie du um deine gestohlenen Kinder tagelang weintest. Dein Wehklagen ging durch Mark und Bein und wird nie verhallen. Das ganze Universum dröhnt von den nie enden wollenden Schreie deiner geschundenen Brüder und Schwestern.

Mein geliebtes Tier, was tun sie dir bloss an?!

Unsere Blicke begegnen sich und ich werde deiner Seele gewahr, die so traurig und verzweifelt ist. Deine Trauer umfasst mich wie ein schwarzes Tuch und ich versinke in bodenloser Scham und Ohnmacht.

Mein Leben ist nicht mehr wert als dein Leben. Mich gäbe es gar nicht, gäbe es dich nicht!

Sanft berühre ich deine Stirn und weiss, dass alles, was sie über dich sagen, nicht wahr ist.
Du, geliebtes Tier, bist ein Wunder, ein leuchtender Stern, die Sonne dieser Erde, denn ohne die Sonne können wir nicht leben.
Deine Anwesenheit, jetzt in diesem Augenblick, lässt mich fühlen, wie grausam es sein wird, wenn sie dich morden, wenn sie ohne Gnade dich hinrichten, während du noch leben willst.
Die letzte Würde werden sie dir nehmen, nachdem sie dich ein Leben lang gedemütigt haben. Dieses Wissen zerreisst mich jeden Tag ein Stück mehr -.

Ich werde dich sicher in meiner Seele tragen und allen erzählen, was du nicht sagen konntest: Wie furchtbar deine Qual war, wie schmerzhaft und trostlos du dein Dasein fristen musstest, und ich werde erzählen, wie wundervoll sanftmütig dein Wesen war und wie du dich vertrauensvoll mir zuwandtest, obwohl du allen Grund gehabt hättest mich zu meiden.

So nehme ich nun Abschied von dir, geliebtes Tier - wir werden uns wiedersehen an jenem Ort, der dich frei sein lässt, der dich aufnehmen wird in die ewige Liebe, jene Liebe, die dir hier auf Erden so unbedingt zugestanden hätte.

Auf Wiedersehen, geliebtes Tier - ich weine - ich werde dich nie vergessen.

Text by: Bea Kälin