Empathiebehinderung

28.05.2023
Bild/Artist: Dana Ellyn
Bild/Artist: Dana Ellyn



Vor ein paar Tagen konnte ich beobachten, wie ein Vater mit seiner kleinen Tochter am Ufer eines Flusses stand und angelte. Während er telefonierend seine Angelrute ins Wasser hielt, sass das Mädchen zusammengekauert auf einem Stuhl und schaute ihren Vater pausenlos an. So sehr hätte sie sich Beachtung und Zuwendung gewünscht, stattdessen wurde sie Zeugin, wie man brutal einen Fisch aus seinem überlebenswichtigen Element zog und herzlos in einen Eimer warf.

Unendlich viel Bezauberndes hätte der Vater dem Mädchen zeigen können. Rund um sie herum blühten die Blumen, die Bäume trugen zum ersten Mal in diesem Jahr ihre sattgrünen Blätter und die Vögel sangen ihr liebliches Frühlingslied während Schmetterlinge durch die Luft tanzten.

Inmitten dieser prächtigen Natur sass dieses Mädchen, welches nichts von alledem in sich aufnehmen konnte, weil es nicht darauf sensibilisiert wurde. Vielmehr wurde es angehalten die zweite Angelrute im Auge zu behalten, sollte ein armer Fisch an dem hinterhältig angebrachten Köder anbeissen. Natürlich machte das Kind wie es ihm geheissen wurde, denn das war das einzige, womit sie ihren Vater beeindrucken konnte.

Ohne, dass es dem Vater bewusst war, zeigte er seinem Kind, dass Gewalt an anderen Individuen völlig normal ist, dass es zum Leben gehört, anderes Leben grundlos zu vernichten. Bedauerlicherweise wird bei dem heranwachsenden Menschen dieser vorgelebte Speziesismus eine Empathiebehinderung das Resultat sein, die später bei den meisten nur ganz schwer aufzuarbeiten ist.

Während es dem Mädchen fortan als völlig «normal» erscheinen mag, dass man Tiere je nach Willkür behandeln darf, ist es für den Fisch, der sein Leben für das «Hobby» des Vaters hat lassen müssen, eine unsäglich qualvolle und schmerzhaft Erfahrung.
In dieser Szene wurde dem Kind etwas gelehrt, was es niemals hätte lernen dürfen: Tiere als gefühllose Objekte, Spielzeuge und wertlose Gegenstände zu betrachten. Doch genau das geschah.
Nicht nur bei dem Vater mit seinem sich nach Zuwendung sehnenden Mädchen – es geschah bei uns allen!

Weil der Speziesismus uns in die Wiege gelegt wurde, scheinen die Gespräche mit unseren Mitmenschen, wenn es um Tierrechte geht, derart aussichtslos zu sein.

Es wird leider noch Generationen überdauern, bis der Samen der Gewaltlosigkeit gegenüber den Tieren endlich keimen und Früchte tragen wird – dennoch dürfen wir nicht nachlassen in unserem Ansinnen, der Tierversklavung endlich ein Ende zu setzen.

Wir werden nicht empathiebehindert geboren - wir werden dazu erzogen.

Text by: Bea Kälin