Die magische Kuh

26.11.2021
Bild/Artist: Pascale Salmon
Bild/Artist: Pascale Salmon


Vor ein paar Tagen bekamen wir Besuch von einem befreundeten Pärchen.
Beide beteuern ihre Tierliebe und würden wohl nichts versäumt lassen, ihren Haustieren etwas Gutes zu tun...

Im Verlaufe des gemütlichen Zusammenseins, ging die Gesprächsrichtung von unseren Gästen unvermittelt in das Thema Veganismus über.

Beide sind Omnivoren und der Mann wollte wissen, was denn nun mit der Milch sei - warum man diese nicht trinken solle. Als ich ihn aufklären wollte, dass Mutterkühen ihre Kälber weggenommen werden, unterbrach er mich harsch: «Das stimmt nicht!» sagte er aufgeregt. «Meine Grossmutter hatte eine Kuh, und die gab Milch - einfach so!» Mit grossen Augen schaute er mich an und war sichtlich aufgebracht.
«Du denkst also, dass diese Kuh nie ein Junges hatte?» fragte ich ihn. «Nein! Nie!...NIE!» brach es aus ihm heraus und dabei zitterte er am ganzen Körper.
Weil ich sah, wie sehr der Mann sich enervierte über meine Aussage, wollte ich die Situation entschärfen und meinte: «Okey. Nehmen wir einmal an, dass deine Grossmutter tatsächlich diese «magische» Kuh hatte, die einfach so Milch gab, aber was ist denn mit all den anderen Kühen in der Massentierhaltung?» Einen kurzen Moment hielt er die Luft an, um dann unmissverständlich klarzumachen, dass auch diese Kühe einfach Milchkühe seien und ganz bestimmt nie Nachwuchs hatten. Dabei schaute er hilfesuchend zu seiner Partnerin, die nickend bestätigte und ebenfalls der Auffassung war, dass das mit dem Kalb und der Kuh nicht stimmen könne, da auch sie neben einem Bauernhof aufgewachsen sei und sowas bestimmt mitbekommen hätte.

Da sass ich nun also mit offener Kinnlade und war mir nicht mehr so ganz sicher, wer mir mehr leidtat: Der Mann in seinem kindlichen Glauben -, oder Grossmutters Milchkuh...
Am Ende hielt ich den beiden einen Artikel über die Milchindustrie unter die Nase, den sie zwar lasen, aber irritiert und ohne weitere Worte kopfschüttelnd zur Seite legten.

Das Erschütternde an diesem Gespräch war nicht einmal nur die unreflektierte Behauptung an sich - es war diese felsenfeste Überzeugung des Mannes, dass seine Beobachtung in Kindertagen der Wahrheit entsprach, ungeachtet dessen, was ich ihm sonst noch alles über das Leben von Säugetieren erläuterte. Gleichzeitig nahm ich in seinem Gesicht den Ausdruck eines betrogenen Jungen wahr, der nicht glauben will, dass man ihn möglicherweise getäuscht hatte. Vielleicht war da auch Scham-; Scham darüber,
dass - sollte das stimmen, was ich erzählte - man sich nie Gedanken darüber gemacht hat und man es eigentlich hätte selbst wissen müssen!

Im Verlaufe des weiteren Gespräches, kamen noch einige bekannte Argumente auf den Tisch wie: Haustiere streichelt man, weil sie eben Haustiere sind. Gott hätte uns die Tiere gegeben, denn das stünde so in der Bibel. Veganer würden wollen, dass es keine Kühe, Hühner, Schafe, Schweine etc. mehr gäbe - ergo seien die Veganer die eigentlichen Tierfeinde!

Immerhin nach der letzten Aussage platze mir dann doch noch der Kragen und ich gab freundlich, aber bestimmt zu bedenken, dass niemand der Fleischesser sich um die sogenannten «Nutztiere» kümmert, ausser sie lägen gesotten oder gebraten auf dem Teller! Keiner interessiere sich für das Wesen eines Schweines! Niemand würde erwähnen, er möchte jetzt mit einer Kuh kuscheln und es sei so schön, dass es Kühe gebe! Auch hätte ich noch nie gehört, dass jemand gerne mit Hühnern spielen würde!
Ich für meinen Teil könne also getrost sagen: Lieber es würden gar keine «Nutztiere» mehr ins Leben gezüchtet, als solche, die ihr Leben lang gequält, verstümmelt, missbraucht, vergewaltigt und getötet werden!

Spätestens da war der gemütliche Kaffeeplausch zu Ende und die beiden meinten sichtlich betupft, dass wir wohl in dieser Angelegenheit eine sehr unterschiedliche Ansicht hätten. Mit dem Link von «Dominion» in der Tasche, zogen sie eilig von dannen.

Ob sie sich diese Dokumentation je anschauen werden, vermag ich zu bezweifeln, aber etwas hängengeblieben ist dennoch: Es ist diese innere mulmige Gewissheit, dass man etwas von sich weist, das offensichtlich ist, auch wenn man noch so bestrebt ist, die Augen davor zu verschliessen.


Text by: Bea Kälin