Besinnung
Nun steht sie also wieder vor der Tür, diese besinnliche Zeit, in der wir uns besinnen - auf was eigentlich?
Besinnen wir uns darauf, dass ein Fest der Liebe eben bedeutet, dass es mit Liebe wenig zu tun hat, wenn in der Küche die Weihnachtsgans brutzelt, die vor ihrer Hinrichtung irgendwo in einem Mastbetrieb durch die Hölle ging, während wir nun ihre Kremierung im Umluftbackofen bei himmlischen Weihnachtsklängen feiern? Sinnen wir an diesem Tag darüber nach, was mit dem Wort «Liebe» eigentlich gemeint ist und inwiefern auch die Tiere daran Teil haben dürfen?
Ich besinne
mich auf Jesus, dessen Geburtstag wir an besagtem Datum feiern und der sagte:
«Denn wahrlich, ich sage euch, der, der tötet, tötet sich selbst, und wer vom
Fleisch erschlagener Tiere isst, isst vom Körper des Todes. Ich sage euch:
Tötet weder Mensch noch Tier noch die Nahrung, die euer Mund aufnimmt.»
(Aus dem
«Evangelium der Essener». Diese Aussage wurde von der Kirche nie autorisiert)
Klarer und eindringlicher kann man es nicht sagen, so wie es der Mann aus Nazareth spricht, dessen Geburt wir an Weihnachten zum Anlass nehmen, uns reich zu beschenken und uns eben diesem tödlichen Gaumenschmaus hinzugeben, von dem ER sagte: «...und tötet überhaupt nicht!»
Das macht
Sinn und stimmt in der Tat besinnlich, denn gerade Jesus steht für die
allumfassende Liebe. Nichts wurde ausgeschlossen, alle waren willkommen unter
dem Mantel der Annahme und der wärmenden Sanftmut. So auch die Tiere!
Die kalte Doppelmoral der Menschen zieht sich wie ein frostiges Band um ihre Seelen,
denn sie fühlen nicht, was liebendes Leben überhaupt bedeutet, indes Jesus das
letzte gerettete Schaf im Arm hält und es behutsam an sein Herz drückt.
Die Kälte und die Brutalität, welche Tiere durch den Menschen erfahren, hat mit einem heiligen Abend nichts zu tun. Es ist das Feuer der Hölle, die für diese armen geschunden Seelen endlos zu brennen scheint, solange wir nicht endlich zur Besinnung kommen und den Weg beschreiten, der uns das Geburtstagskind vorgelebt hat.
Wir können noch so viele Kerzen anzünden und Kirchenlieder singen, sie werden im Nichts verhallen, denn wir bleiben nur die Apparatschik unserer eigenen Traditionen, die sinnentleert ein Fest feiert, das eher dem Kapitalismus als dem Frieden und der Liebe dient.
Und so steht der geschmückte Tannenbaum im Wohnzimmer -, traurig dahinsterbend, wie all die gequälten und gedemütigten Brüder und Schwestern, deren Leben dazu verdammt ist, eingekerkert auf ihre Hinrichtung zu warten - erbarmungslos - auch an Weihnachten.
Es fällt
schwer zu verzeihen, Jesus jedoch hätte dies wohl getan mit den Worten:
«Hört auf
damit!»
Text by: Bea Kälin